Michael ist ein in sich verschlossener Geist.
Die Rosenkreuzerei ist dadurch gekennzeichnet,
daß ihre erleuchtetsten Geister eine starke Sehnsucht hatten,
Michael zu begegnen. Sie konnten es nur wie im Traume. Seit dem
Ende des letzten Drittels des 19- Jahrhunderts können die Menschen
in bewußter Weise dem Geiste Michael begegnen.
Aber Michael ist eben eine eigenartige Wesenheit. Michael ist
eine Wesenheit, die eigentlich nichts offenbart, wenn man ihr nicht
aus emsiger geistiger Arbeit von der Erde aus etwas entgegenbringt.
Michael ist ein schweigsamer Geist. Michael ist ein in sich verschlossener Geist.
Während andere der regierenden Erzengel vielredende
Geister sind - im geistigen Sinne natürlich -, ist Michael ein durchaus
verschlossener Geist, ein wenig redender Geist, der höchstens
spärliche Direktiven gibt. Denn das, was man von Michael erfährt,
ist eigentlich nicht das Wort, sondern -wenn ich mich so ausdrücken
darf - der Blick, die Kraft des Blickes. Und das beruht darauf, daß
eigentlich Michael sich am meisten zu tun macht mit demjenigen,
was die Menschen aus dem Geistigen heraus schaffen. Er lebt in den
Folgen des von den Menschen Geschaffenen. Die anderen Geister
leben mehr mit den Ursachen, Michael lebt mehr mit den Folgen.
Die anderen Geister impulsieren im Menschen dasjenige, was der
Mensch tun soll. Michael wird der eigentlich geistige Held der Freiheit sein.
Er läßt die Menschen tun, aber nimmt dann das, was aus
Menschentaten wird, auf, um es weiter fortzutragen im Kosmos, um
dasjenige, was Menschen damit noch nicht wirken können, weiterzuwirken im Kosmos.
Man hat anderen Wesenheiten aus der Hierarchie der Archangeloi
gegenüber das Gefühl: von ihnen kommen die Impulse, das
oder jenes zu tun; im größeren oder geringeren Grade kommen von
ihnen die Impulse. Aber Michael ist derjenige Geist, von dem
zunächst nicht Impulse kommen, weil seine wirklich repräsentative
Herrschaftsperiode diejenige ist, die jetzt kommt, wo die Dinge aus
der menschlichen Freiheit kommen. Wenn aber der Mensch aus
seiner Freiheit heraus, angeregt durch das Lesen des Astrallichtes,
bewußt oder unbewußt dies oder jenes tut, so trägt Michael das, was
menschliche Erdentat ist, in den Kosmos hinaus, daß es kosmische
Tat wird. Er kümmert sich um die Folgen, andere Geister mehr um
die Ursachen.
Aber Michael ist nicht nur ein verschlossener, schweigsamer
Geist, Michael kommt, indem er an den Menschen herantritt, mit
einer deutlichen Abweisung von vielem an den Menschen heran, in
dem der Mensch heute noch auf Erden lebt. So zum Beispiel alles
das, was sich im Menschen- oder im Tierleben oder im Pflanzenleben an Erkenntnissen bildet,
die auf die vererbten Eigenschaften
gehen, die auf dasjenige gehen, was sich in der physischen Natur
forterbt, das ist so, daß es einem vorkommt: Michael stößt es abweisend von sich.
Er will damit zeigen, daß solche Erkenntnisse dem
Menschen für die geistige Welt nichts fruchten können.
Nur was der Mensch unabhängig von dem rein Vererbbaren in der Menschheit,
in der Tierheit, in der Pflanzenheit findet, das läßt sich vor Michael
hinauftragen. Und da bekommt man nicht die so vielsagende abweisende
Handbewegung, sondern man bekommt den zustimmenden Blick, der einem sagt:
Das ist gerecht gedacht vor der Lenkung
des Kosmos. - Denn das ist dasjenige, was man immer mehr und
mehr erstreben lernt: gewissermaßen zu sinnen, um durchzustoßen
bis zum Astrallichte, zu schauen die Geheimnisse des Daseins und
dann vor Michael hinzutreten und den zustimmenden Blick zu bekommen, der einem sagt:
Das ist richtig, das ist gerecht vor der Lenkung des Kosmos.
Und so ist es bei Michael, daß er eine strenge Abweisung für alles
das hat, was auch zum Beispiel das Trennende der menschlichen
Sprachen ist. Solange man seine Erkenntnisse in die Sprache nur
einhüllt, sie nicht hinaufträgt in den Gedanken, so lange kommt
man nicht in die Nähe des Michael. Daher besteht auch heute in der
geistigen Welt im Grunde genommen ein vielbedeutsamer Kampf.
Denn auf der einen Seite ist eben hereingetreten in die Menschheitsentwickelung der
Michael-Impuls: er ist da; aber auf der anderen
Seite ist innerhalb der Menschheitsentwickelung vieles, was diesen
Michael-Impuls eben nicht aufnehmen will, was diesen Michael-Impuls zurückweisen will. Und zu dem, was diesen Michael-Impuls
zurückweisen will, gehören zum Beispiel heute die Nationalitätsempfindungen. Sie loderten auf im 19. Jahrhundert, wurden stark
im 20. Jahrhundert immer mehr und mehr. Nach dem Nationalitätsprinzip ist in der letzten Zeit viel,
man kann nicht sagen,
geordnet, sondern geunordnet worden. Es ist eben wirklich geunordnet worden.
GA 233a - Seite 93ff