Denken & Hellsehen

Denken & Hellsehen

Nun erinnern Sie sich, dass wir ja gesagt haben: das eigene Denken, das muss ausgeschaltet sein. Also, eigene Gedanken machen wir uns nicht über das, was wir sehen. Das ist vor allen Dingen eine Grundforderung für diesen hellseherischen Blick, dass wir uns ganz und gar sozusagen durch die Weltengedanken, die in uns einströmen, dass wir uns durch sie inspirieren lassen. Was wir also da sehen, das schauen wir an, aber es wirkt vor allen Dingen auf unser Gefühl; auf Gefühl und Wille wirkt es. Unser Denken, das erscheint uns so, wenn wir wirklich das erreicht haben, wovon gesprochen worden ist, als wenn wir es verloren hätten; unser eigenes Denken meine ich. Und so schauen wir mit dem Gefühl, das uns eigen geblieben ist, zurück auf das, was da eingebettet ist in das Nebelgebilde, in das immer bewegliche Nebelgebilde unseres Ätherleibes als unser physisches Organ. Da bekommen wir zunächst einen Totaleindruck. Dieser Totaleindruck ist so, dass uns das, was wir da erblicken, zu unendlicher Traurigkeit, zu furchtbarer Traurigkeit stimmt. Und man muss sagen, meine lieben Freunde, diese Stimmung der Seele, diese furchtbare Traurigkeit, die ist nicht etwa abhängig von der einen oder anderen menschlichen Individualität, sondern sie ist ganz allgemein. Den Menschen kann es nicht geben, der so, wie es geschildert worden ist, von außen zurückblickt auf seinen physischen Leib, wie er eingebettet ist im Ätherleib, und der nicht ganz, ganz durchdrungen würde von maßloser Traurigkeit. Alles das, was ich an Eindrücken jetzt schildere, prägt sich zunächst im Gefühl aus, nicht in Gedanken. Maßlose Traurigkeit, eine ganz melancholische Stimmung überkommt uns, wenn wir nun aufblicken zu den Weltgedanken, die in uns einströmen. Diese Gedanken, die nicht unsere eigenen, sondern die schöpferisch durch die Welt webende und wirkende Gedanken sind, die beleuchten sozusagen dieses Gebilde unseres physischen Leibes, und sie sagen uns durch die Art und Weise, wie sie das beleuchten, sie sagen uns, was das eigentlich ist, was wir da sehen. Sie sagen uns: das alles, was wir da sehen, das ist das letzte Dekadenzprodukt einer einstmals bestehenden Herrlichkeit. Und wir bekommen durch das, was uns diese Gedanken sagen, den Eindruck: Was wir da als unseren physischen Leib vor uns haben, das ist wie etwas, was einstmals gewaltig und herrlich war und verdorrt und zusammengeschrumpft ist und jetzt in ein kleines Gebilde zusammengeschrumpft eine einstmalige ausgebreitete Herrlichkeit uns zeigt. Wie eine letzte ins Physische verhärtete Erinnerung urferner Herrlichkeit erscheint uns das, was da eingebettet ist in unseren Ätherleib. Da erscheinen uns unsere einzelnen physischen Organe, die heute sozusagen zu unserem Ernährungs-, zu unserem Blutzirkulations-, zu unserem Atmungssystem gehören; wir blicken sie von außen an, sie geistig anschauend, und siehe da, sie erscheinen uns so, dass wir uns sagen: Das alles, was wir da im physischen Leibe vor uns haben, das sind Schrumpfprodukte, verdorrte Produkte von einstmals existierenden Lebewesen; von Lebewesen, die in einer herrlichen Umgebung gelebt haben und die jetzt zusammengeschrumpft und verdorrt sind. Und in dem Leben, das sie heute in sich haben, diese Lunge, dieses Herz, diese Leber und die anderen Organe, in dem ist nur das letzte Dekadenzleben eines ursprünglichen gewaltigen innerlichen Lebens.

GA 145, S. 101 f.

Gemütsruhe

Gemütsruhe

Je ruhiger wir sein können, desto mehr geschieht durch uns in der geistigen Welt, so dass wir also gar nicht sprechen können davon, dass etwas geschieht in der geistigen Welt, wenn wir hasten und treiben, sondern indem wir in aller Gemütsruhe entwickeln eine größere liebevolle Anteilnahme an dem, was geschehen soll, und dann abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Diese Gemütsruhe, welche in der geistigen Welt schaffend ist, hat kaum irgend etwas Ähnliches im gewöhnlichen physischen Leben, wohl aber in höheren Gebieten auf dem physischen Plane, im Erkenntnisleben und im Kunstleben. Da haben Sie schon etwas Analoges. Der Künstler kann eigentlich nicht das Höchste, was er vermag nach seinen Anlagen, schaffen, wenn er nicht warten kann, wenn er nicht in aller Gemütsruhe warten kann, bis der rechte Augenblick gekommen ist, bis die Intuition kommt. Wer programmmäßig schaffen will, der kann nur minderwertige Produkte zustande bringen. Wer auf irgendeinen äußeren Anlass hin irgendein Werk, sei es das kleinste, schaffen will, wird es nicht so gut zustande bringen, als wenn er in liebevoller Hingabe und ruhig warten kann auf den Augenblick der Inspiration, wir können auch sagen, auf den Augenblick der Gnade. So ist es auch in der geistigen Welt, da gibt es kein Hasten und Drängen, da gibt es nur Gemütsruhe. Im Grunde genommen muss es auch so sein bei der Ausbreitung unserer Bewegung. Alle äußere Agitation, alles äußere den Menschen die Geisteswissenschaft Aufdrängenwollen, führt im Grunde genommen zu nichts. Am besten ist es, wenn wir warten können, bis sich uns im Leben die Menschen zeigen, die in ihrer Seele das Bedürfnis haben, etwas zu hören, die sich hinneigen wollen dem Geistigen, und wir sollen gar nicht das Bedürfnis entwickeln, einen jeden an die Geisteswissenschaft heranzubringen. Wir werden die Erfahrung machen, je mehr Ruhe, agitationslose Ruhe wir entwickeln können, desto mehr Leute kommen an uns heran, während wir durch eine brüske Agitation die Leute geradezu zurückstoßen werden. Wenn ein öffentlicher Vortrag gehalten wird, geschieht es nur, damit gesagt werde, was gesagt werden muss; wer es aufnehmen will, kann es aufnehmen. Insofern muss unser ganzes Leben innerhalb der geisteswissenschaftlichen Bewegung ein Abbild des Geistigen sein, dass wir das, was geschehen soll, geschehen lassen und es abwarten mit Gemütsruhe.

GA 140, S. 63 f.

Angelos

Angelos

Wenn wir aufwachen, werden wir in die Welt versetzt, wo Tiere, Pflanzen, Mineralien, wo die Wesen der drei Naturreiche sind, die eben der Sinneswelt angehören. Wenn wir hinüberschlafen jenseits der Sinneswelt, werden wir zunächst versetzt in dasjenige Gebiet, in dem die erste über den Menschen gelagerte Wesensstufe der Angeloi, der Engel ist. Und wir stehen vom Einschlafen bis zum Aufwachen zunächst mit jenem Wesen, das dem Menschen zugeordnet ist als sein Engelwesen, so in Verbindung, wie wir durch unsere Augen und Ohren mit den drei Reichen der Natur hier in der Sinneswelt in Verbindung stehen. Wenn wir auch zunächst kein Bewusstsein haben von dieser Verbindung mit der Welt der Angeloi, sie ist doch da, diese Verbindung. In dasjenige, was unser astralischer Leib ist, reicht diese Verbindung hinein. Wenn wir in unserem astralischen Leibe im Schlafe leben und würden plötzlich aufwachen, würden wir ebenso in Berührung kommen mit der Welt der Angeloi, zunächst mit dem Engelwesen, das mit unserem eigenen Leben in Verbindung steht, wie wir hier in der irdischen Welt mit Tier und Pflanze und Mineralien verbunden sind. Nun aber sieht der Mensch auch in der irdischen Welt, in der Sinneswelt, wenn er aufmerksam ist, wenn er seine Gedanken schult, mehr, als wenn er unaufmerksam, flüchtig ist. Die Verbindung also mit den drei Reichen der Natur kann eine innigere oder eine oberflächlichere sein. (…) Aber der Angelos ist nicht imstande, den Menschen zu einem freien Leben zu führen, wenn der Mensch gewissermaßen automatisch mit seiner Sprache, mit seinem Volkstum hat verbunden werden müssen. Dann wird auch das individuelle Leben unfrei. Diese Unfreiheit drückt sich dadurch aus, dass der Mensch zwar innerlich auch ein Bewusstsein entwickelt, wenn er nicht freie Begriffe fasst, sondern wenn er innerlich Worte denkt, aber der Mensch wird veräußerlicht, wird unfrei gemacht dadurch, dass sein ganzes Denken in Worten aufgeht. Das ist aber sogar ein Grunderlebnis der Menschen der heutigen Zeit, dass ihr Denken eben in Worten aufgeht. Man begreift auch das Erdenleben in seiner geschichtlichen Entwickelung, besonders in seinem gegenwärtigen Zustande nicht, wenn man nicht aufsteigt zu dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, zu der geistig-seelischen Welt. Will man also die menschliche Gestalt verstehen, muss man zum Fixsternhimmel hindeuten. Will man die menschlichen Lebensstufen verstehen, muss man zur Planetensphäre hindeuten. Will man das menschlich-geistig-seelische Leben verstehen, dann kann man nicht stehenbleiben zwischen der Geburt und dem Tode, denn dieses geistig-seelische Leben wurzelt, wie wir gesehen haben, in der Welt der höheren Hierarchien, wie das physische und ätherische Wesen der Menschen zu der physischen und ätherischen Außenwelt gehört. Will man also Denken, Fühlen und Wollen richtig verstehen, dann muss man nicht bloß den Menschen in seiner Beziehung zur sinnlichen Außenwelt ins Auge fassen, dann muss man den Menschen ins Auge fassen in Bezug auf sein Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Denken, Fühlen, Wollen sind die Kräfte, durch die sich zunächst unser Seelenwesen entwickelt. Unsere idealen Gedanken, dasjenige, was sich in diese Gedanken, in das Seelenwesen hineinverpflanzt hat aus idealer Liebe, aus Frömmigkeit, das trägt uns gewissermaßen durch die Todespforte. Wie wir unser Denken beeinflusst haben, wie unser Denken von einer idealen Gesinnung durchdrungen war, das bringt uns in der richtigen Weise zu der ersten Begegnung mit den Archangeloi. Dann aber, indem wir die Mitternachtsstunde des Daseins überschreiten, dann verglimmt, möchte ich sagen, unser Denken. Denn dieses Denken ist es, das nun gerade bearbeitet wird nach der Mitternachtsstunde des Daseins hin für das nächste Erdendasein. Und aus demjenigen, was dieses unser Denken war, werden nun diejenigen Kräfte geformt, die die physischen Denkorgane durchziehen im nächsten Erdenleben. (…) Das aber kann nur errungen werden, wenn unser Denken durchglüht werden kann von wirklicher Geistigkeit. Was enthält denn eigentlich der heutige Geist des Menschen? Gedanken - Gedanken über etwas. Wenn heute der Mensch von seinem Geiste spricht, spricht er eigentlich nur von seinen Gedanken, von dem mehr oder weniger abstrakten Denken. Was wir brauchen, das ist wirklicher Geist, der innerlich in uns eindringt, lebendiger Geist. Von solchem lebendigem Geist handelt aber wirklich Anthroposophie in der Anschauung der Welt, die zwischen dem Tod und einer neuen Geburt liegt. Der Mensch hat also heute nötig, von seiner Gestalt, von seiner Form, von seinen Lebensstufen, von seinem Seelisch-Geistigen aus sich selbst zu betrachten als angehörig einer Welt, die außerhalb des Irdischen liegt. Dann wird er in das Irdische das Richtige hereintragen können. Wir haben es erlebt, wie das Geistige des Menschen allmählich aufgesogen worden ist von den andern Elementen des Erdendaseins, von dem politischen Leben, von dem wirtschaftlichen Leben. Wir brauchen die Hinneigung zu einem selbständigen Geistesleben. Das allein nur kann die Grundlage geben für die Durchdringung des Menschen mit wirklicher Geistigkeit, mit geistiger Substanz, nicht bloß mit den Gedanken über irgend etwas. Deshalb muss Anthroposophie sich geneigt finden, für eine Befreiung des Geisteslebens zu wirken. Wenn dieses Geistesleben sich nicht auf seine eigenen Grundlagen stellt, so wird der Mensch immer mehr und mehr ein Abstraktling werden. Er wird sich nicht durchdringen können mit lebendigem Geiste, sondern nur mit abstraktem Geiste. 

GA 209, S. 35 f.

Machtmissbrauch

Machtmissbrauch


Aber eine andere Frage können wir aufwerfen: Wir rufen aus unserem Inneren diese Kräfte der Verwandlungsfähigkeit heraus; sind sie also nicht fortwährend in uns? Ja, die Kräfte sind immer in uns. Geradeso, wie die Kräfte der Imagination immer in uns sind, wir sie aber hervorrufen müssen, um geistige Wesen wahrzunehmen, so sind auch die Kräfte des Sich-Verwandelns immerfort in uns. Nur, um sie bewußt zu haben, müssen wir sie auf die geschilderte Weise entwickeln. Wir sind in jedem Augenblick nicht nur wir selber, sondern auch jedes andere Wesen, nur entwickeln wir uns nicht dazu, weil wir unser Bewußtsein nicht zu dem andern Wesen erweitern. Warum ist das so? Das wird uns am besten klar, wenn wir einen der Fälle im Leben betrachten, wo der Mensch auf dem gewöhnlichen physischen Plan sich in ein anderes Wesen verwandelt. Es kommt allerdings vor auf dem physischen Plan, daß man die Kräfte gebraucht, die sonst die Verwandlungskräfte sind. Man gebraucht sie, ohne daß man davon etwas weiß. Man gebraucht sie jedesmal, wenn man seinen Mitmenschen dadurch Unrecht zufügt, daß man seinen eigenen Willen in ungerechtfertigter Weise zum Herrn über andere macht. Es fängt schon damit an, wenn man den anderen anlügt. Durch die Lüge fügt man ihm ein Stück Unrichtiges ein. Man gewinnt eine gewisse Macht über ihn, weil die Lüge in dem anderen weiterwirkt. So ist es auch, wenn man etwas Böses tut. Die Kräfte, mit denen man etwas Böses tut in der Welt, das sind diese Verwandlungskräfte, nur am unrechten Orte angewendet. Alles Böse in der Welt ist die unrechtmäßige Anwendung dieser Verwandlungskräfte. Es gestattet wahrhaftig, tiefe Blicke hineinzutun in das Geheimnis des Daseins, wenn man weiß, woher das Unrecht, das Böse, das Verbrechen und das Unheil kommt, das in der Welt geschieht. Dadurch geschieht es, daß der Mensch die besten, heiligsten Kräfte, die vorhanden sind, nämlich die Verwandlungskräfte, in verkehrter Weise anwendet. Es gäbe kein Böses in der Welt, wenn es nicht die heiligsten Verwandlungskräfte gäbe. Ich habe sogar einmal in einem öffentlichen Vor- trag auf diese Eigentümlichkeit hingedeutet, daß das Böse eine verkehrte Anwendung von Kräften ist, die, an ihrem Ort angewendet, zu einem höchsten Guten führen würden. Diese Stimmung in der menschlichen Seele: Ich weiß, hier in der Seele ist etwas darin, was sich einerseits in alle anderen Menschen und Wesen verwandeln kann, was sich andererseits verwandeln kann in Egoismus -, diese Stimmung muß man entgegenhalten können dem Kosmos, wenn man geistig hören will. Das ist ein zweiter Vokal. Die Stimmung, die man haben kann gegenüber dem Geheimnis des Bösen, wie ich es jetzt dargelegt habe, das ist der dritte Vokal, also das, was man erlebt, wenn man weiß, wodurch der Mensch böse werden kann. Wenn man dieses Geheimnis kennt, daß es höchste Kräfte sind, die im Bösen in verkehrter Weise angewendet werden, dann hat man die Stimmung eines dritten kosmischen Vokals. Man muß solche Seelenstimmungen erleben; das ist es, worauf es ankommt. So haben wir heute von drei kosmischen Vokalen gesprochen. Von anderen Vokalen werden wir morgen sprechen. Ich mußte heute erst das Prinzip erörtern, auf das es ankommt, damit wir im inneren Erleben jene innere Verwandtschaft zum Kosmos herstellen, wodurch wir in Hingabe unserer eigenen Seelenkräfte zu Hörern und Lesern dessen werden, was draußen in der geistigen Welt vorgeht.

GA 156, Seite 63f

Geisteswissenschaft

Geisteswissenschaft

Dann wird eine Zeit kommen in der Erdenentwickelung, wo diejenigen, die Geisteswissenschafter geworden sind, sagen werden: Geisteswissenschaft ist schon alles, Geisteswissenschaft ist das letzte Heil, und alle diejenigen, die in ihrer Seele etwas anderes unternehmen als Geisteswissenschaft, sind Phantasten und Träumer! - Die Geisteswissenschafter werden über diese anderen reden, wie die Materialisten über uns reden. Aber geradeso wie die Geisteswissenschafter von heute stehen zu den Materialisten, so wird es in der Zukunft ein kleines Häuflein von Menschen geben, die über die Geisteswissenschaft hinausgehen werden zu etwas, was sich in dieser Zukunft zu Geisteswissenschaft als etwas so Neues verhält, wie die Geisteswissenschaft jetzt zu der bloß äußeren Wissenschaft. Das wird noch viel mehr Ansprüche stellen an die Aktivität des Menschen als die Geisteswissenschaft, die schon so unbequem gefunden wird.

GA 162, Seite 102 f.

Antipathie

Antipathie

Viele Seelen, die jetzt gewissermaßen aus geistigen Welten herunter sollen in physische Leiber, betrachten dieses Einkörpern in die physischen Leiber mit einer Art von Abneigung, mit einer Art von Antipathie. Das ist vielen Menschen heute unbewußt.

Rudolf Steiner - GA 203, Seite 48