Eingeweihte
Der Träger des übersinnlichen Wissens möchte am liebsten so wenig als nur irgend möglich für die Gewinnung von Anhängern tun. Die Gefühle des Fanatikers, des Sektenstifters sind ihm ganz und gar fremd. Und je mehr er sich auch in der Gegenwart an diese seine Grundgesinnung halten kann, desto mehr wird er es tun. Doch verbieten ihm eben die Verhältnisse der Gegenwart, sich ganz an dieses Prinzip zu halten. Er muß an die Offentlichkeit treten. Aber er hält seine Gesinnung doch insoweit aufrecht, daß er in keinem anderen Sinne an die Offentlichkeit tritt, als in dem, daß er sagt: «Dies oder jenes habe ich mitzuteilen aus dem Bereich der übersinnlichen Welten; ich sage es, weil es vor der Welt gesagt werden muß. Wer diesen Dingen nähertreten will, der muß es ganz allein deshalb tun, weil er es selber will. Ich werbe nicht um Anhänger; aber ich komme jedem nach Möglichkeit entgegen, der etwas von den Erkenntnissen höherer Welten begehrt.» Man kann sagen: der Fanatiker wirbt um Anhänger; der Träger übersinnlicher Erkenntnisse wartet ganz ruhig, bis sie von selbst kommen. Das erscheint in der Theorie zunächst ganz einfach; in der Praxis ist es gar nicht leicht. Er dränge keusch jene Begeisterung zurück, die sich dem gegenwärtigen Menschen auf so natürliche Art ergibt: das der Welt mitzuteilen, was er selbst als seine heilige Überzeugung im Herzen trägt. Zur Mitteilung darf den Träger des Geheimwissens eben gar nichts anderes reizen, als daß der einzelne Mensch, oder die Menschen, die in Frage kommen, die entsprechenden Mitteilungen zum Heile ihrer Seele und ihres ganzen Menschen brauchen.
GA 34 - Seite 285f
Meditation
Wir möchten gern die Stimmung des Meditierens auf unser gesamtes Leben ausdehnen. Das geht aber nicht, weil wir dann unbrauchbar für das physische Leben werden. Nimmt ein Mensch sich das Privilegium heraus, sein jetziges Leben ganz der Meditation zu weihen, also ein Kloster- oder Mönchsleben zu führen, so wird er im nächsten Leben um so mehr vor die Aufgabe gestellt, im praktischen Leben trotz vielleicht verstärkter geistiger Kräfte tätig zu sein.
GA 266/2 - Seite 312
Anthroposophie & Christentum
Weisheit & Liebe
So steht das Christentum da nicht als eine Religion, die eine Stam-
mesreligion wäre, sondern es steht da als eine Menschheitsreligion,
wenn es richtig verstanden wird. Indem der Christ sich eins fühlt mit
dem «Vater», steht Seele der Seele gegenüber, gleichgültig welchem
Stamme sie angehört. So werden alle Schranken fallen müssen unter
den Einwirkungen des Christentums, und der Jupiterzustand muß vor-
bereitet werden unter den Einwirkungen dieses Prinzips. Daher hat
das Christentum begonnen als Religion, denn die Menschheit war auf
Religion gebaut. Religion aber ist etwas, was im Laufe der Mensch-
heitsentwickelung abgelöst werden muß durch Weisheit, durch Er-
kenntnis. Insofern Religion auf Glauben gebaut ist und nicht von der
vollen Erkenntnis durchglüht ist, ist sie etwas, was im Laufe des
Menschheitsfortschrittes abgelöst werden muß. Und während der
Mensch früher glauben mußte, um zum Wissen zu kommen, wird in
Zukunft volle Erkenntnis leuchten, und der Mensch wird wissen und
von da aus aufsteigen zur Anerkennung der höchsten geistigen Welten.
Von der Religion entwickelt sich die Menschheit zu der von der Liebe
wieder durchglühten Weisheit. Erst Weisheit, dann Liebe, dann von
der Liebe durchglühte Weisheit.
Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (1908)
Christentum und Karma
Wir müssen zunächst eine Unterscheidung machen. Wir müssen
das eine betrachten, was sich in einer objektiven Gerechtigkeit im
Karma vollzieht. Da müssen wir uns ganz klar darüber sein, daß der
Mensch allerdings seinem Karma unterworfen ist, daß er dasjenige,
was er als Unrecht getan hat, karmisch auszugleichen hat. Und bei
tieferem Nachdenken wird der Mensch eigentlich nicht anders wollen,
als daß es so sei. Denn nehmen Sie an, irgend jemand habe ein Unrecht
getan. In dem Augenblick, wo er dieses Unrecht tun konnte, ist er
unvollkommener, als wenn er es nicht getan hatte, und er kann den
Grad von Vollkommenheit, den er hatte, bevor er das Unrecht tat,
erst wiedererringen, wenn er das Unrecht ausgleicht. Er muß also
wünschen, das Unrecht auszugleichen, denn nur indem man es ausgleicht, indem man den Ausgleich erarbeitet, schafft man sich den
Grad von Vollkommenheit, den man vorher hatte, bevor man die Tat
vollbracht hat. So können wir um unserer eigenen Vervollkommnung
willen gar nichts anderes wünschen, als daß das Karma als objektive
Gerechtigkeit bestehe. Es kann also im Grunde genommen vor der
Auffassung der menschlichen Freiheit gar nicht der Wunsch entstehen,
es solle uns irgendwelche Sünde vergeben werden etwa in dem Sinne,
daß wir zum Beispiel heute einem Menschen die Augen ausstechen
und uns dann diese Sünde vergeben wird, wir dann diese Sünde in
unserem Karma nicht mehr abzutragen brauchen. Ein Mensch, der
einem anderen die Augen aussticht, ist unvollkommener als ein
Mensch, der es nicht getan hat, und im weiteren Karma muß das eintreten,
daß er eine entsprechende Guttat dafür tut; dann erst ist er
wiederum in sich der Mensch, der er war, bevor er die Tat vollbracht
hat. Also es kann im Grunde genommen gar nicht der Gedanke aufkommen,
wenn man wirklich über das Wesen des Menschen nachdenkt, daß,
wenn man einem Menschen die Augen aussticht, einem
das vergeben wird und daß dann das Karma etwa ausgeglichen wäre.
So hat es mit dem Karma durchaus seine Richtigkeit, daß uns gewissermaßen
kein Heller nachgelassen wird, daß wir alles bezahlen müssen.
Aber es gibt ja noch etwas anderes gegenüber der Schuld. Die
Schuld, die wir auf uns laden, dit Sünde, dit wir auf uns laden, die
ist ja nicht bloß unsere Tatsache, das müssen wir jetzt unterscheiden,
sondern sie ist eine objektive Weltentatsache, sie ist etwas auch für
die Welt. Dasjenige, was wir verbrochen haben, das gleichen wir in
unserm Karma aus; aber daß wir einem die Augen ausgestochen haben,
das ist geschehen, das hat sich wirklich vollzogen, und wenn wir,
sagen wir, in der jetzigen Inkarnation einem Menschen die Augen
ausstechen und dann in der nächsten Inkarnation etwas tun, was dieses
ausgleicht, so bleibt das doch für den objektiven Weltengang bestehen,
daß wir vor soundsoviel Jahrhunderten einem die Augen ausgestochen
haben. Das ist eine objektive Tatsache im Weltenganzen. Für uns
gleichen wir sie später aus. Den Makel, den wir uns selbst zugefügt
haben, gleichen wir im Karma aus, aber die objektive Weltentatsache,
die bleibt bestehen, die können wir nicht auslöschen dadurch, daß wir
von uns selbst die Unvollkommenheit nehmen.
Wir müssen unterscheiden die Folgen einer Sünde für uns selbst,
und die Folgen einer Sünde für den objektiven Weltengang.
Das ist außerordentlich wichtig, daß wir diese Unterscheidung
machen. Und nun darf ich vielleicht eine okkulte Betrachtung einfügen,
welche die Sache etwas verständlicher machen kann.
Wenn man anblickt die Zeit der Menschheitsentwickelung seit dem
Mysterium von Golgatha, und man kommt, ohne durchdrungen zu
sein mit der Christus-Wesenheit, an die Akasha-Chronik heran, so
wird man sehr leicht irre - sehr leicht wird man irre. Denn in dieser
Akasha-Chronik zeigen sich Aufzeichnungen, die sehr häufig nicht
stimmen mit dem, was man in der karmischen Evolution der einzelnen
Menschen findet. Ich meine das Folgende: Nehmen wir an, im Jahre
733 meinetwillen habe irgendein Mensch gelebt und habe dazumal
eine schwere Schuld auf sich geladen. Nun untersucht man die Akasha-Chronik,
zunächst ohne daß man irgend etwas von einer Verbindung
hat mit dem Christus. Und siehe da, man kann die betreffende Schuld
nicht finden in der Akasha-Chronik. Geht man aber jetzt auf den
Menschen ein, der weiter gelebt hat, und untersucht sein Karma, dann
findet man: Ja, auf dieses Menschen Karma ist noch etwas, was er
abzutragen hat; das müßte an einem bestimmten Zeitpunkt in der
Akasha-Chronik darinnen stehen; es steht aber nicht darinnen.
Wenn man das Karma untersucht, sieht man: Ja, er hat es abzutragen,
man müßte in jener Inkarnation die Schuld in der Akasha-
Chronik finden, sie steht aber nicht darinnen. Welch ein Widerspruch!
Eine ganz objektive Tatsache, die in zahlreichen Fallen sich ergeben
kann. Ich kann heute einem Menschen begegnen. Wenn es mir durch
Gnade gegeben wird, etwas zu wissen über sein Karma, so kann ich
vielleicht finden, daß irgendein Unglück oder ein Schicksalsschlag,
der ihn trifft, auf seinem Karma steht, daß es der Ausgleich ist für
eine frühere Schuld. Gehe ich der Sache nach in frühere Inkarnationen
und prüfe, was er dazumal gemacht hat, so sehe ich in der Akasha-
Chronik diese Tatsache nicht verzeichnet. Woher kommt denn das?
Das kommt davon her, daß der Christus tatsächlich auf sich genommen
hat die objektive Schuld. In dem Augenblick, wo ich mich
mit dem Christus durchdringe, wo ich mit dem Christus die Akasha-
Chronik durchforsche, finde ich die Tatsache! Christus hat sie in
sein Reich genommen und trägt sie als Wesenheit weiter, so daß, wenn
ich von Christus absehe, ich sie nicht finden kann in der Akasha-
Chronik. Man muß sich diesen Unterschied merken:
Es bleibt bestehen die karmische Gerechtigkeit, aber in bezug auf
die Wirkungen einer Schuld in der geistigen Welt tritt der Christus
ein, der diese Schuld in sein Reich hinübernimmt und weiterträgt.
Der Christus ist derjenige, der in der Lage ist, weil er einem anderen
Reiche angehört, unsere Schulden und unsere Sünden in der Welt zu
tilgen, sie auf sich zu nehmen.
Wie sagt dann also im Grunde genommen der Christus am Kreuze.
Christus und die menschliche Seele
Über den Sinn des LebensTheosophische Moral
Anthroposophie und Christentum
1912/1914
GA 155 - Seite 182ff.
Abonnieren
Posts (Atom)