Liebe...
Wie steht es eigentlich mit dem Lieben? Wenn der Hellseher
dieses erforscht, dann kann er zu bitteren Erfahrungen kommen,
solange er diese Erfahrungen nicht im Lichte eines noch größeren
Ganzen betrachtet. Nehmen wir an, zwei Menschen werden
geboren, die durch ihr Karma dazu gehalten sind, in diesem
Leben einander zu lieben. Dann kann der Hellseher oftmals beobachten,
daß vor der Geburt dieser Menschen in der geistigen
Welt die beiden einander gehaßt haben. Oder eine Mutter bekommt
ein Kind, das sie, nach der weisen Einrichtung der Weltenordnung, mit Liebe erzieht. Aber bevor sie geboren war, hat
sie das Kind vielleicht gehaßt. Hier kommen wir auf ein Gebiet,
wo die weise Weltenlenkung gerade besonders weise vorgegangen
ist. Das, was die Menschen in «Liebe» aneinander bindet, ist
nämlich in weitaus den meisten Fällen Egoismus. Man liebt den
andern, weil man es als angenehm empfindet, in der Nähe des
geliebten Wesens zu sein. Die guten Götter haben den Egoismus
gebrauchen müssen, um die Menschen in Liebe zu erziehen.
Ohne dieses Mittel des Egoismus zu ergreifen - nachdem der
luziferische Einfluß nun einmal gekommen war -, könnten keine
Menschen dazu gebracht werden, karmische Bande durch Liebeverhältnisse
auszuwirken; die Mutter würde das Kind, das karmisch
mit ihr verbunden ist, gar nicht zur Welt bringen wollen
und so weiter. So ist in dieser Welt wirklich alles umgekehrt; die
Liebe ist von Luzifer und Ahriman, der Egoismus von den fortschreitenden
Göttern gegeben, damit durch die Veredlung des
Egoismus die Menschen zu wahrer Liebe gelangen können.
Es wird das hier gesagt, um damit auf das Folgende hinzuweisen.
Es kommen oft angehende Esoteriker und klagen über
die Gedanken, die sie bei ihrer Meditation bestürmen. Das ist
eigentlich ein Zeichen des Fortschrittes, daß man diese Gedanken
spürt; es beweist, daß wir Luzifer und Ahriman nicht mehr
nur in uns selber haben, sondern daß wir anfangen, sie als
Mächte außer uns wahrzunehmen, denn solche heraufziehenden
Gedanken sind ganz von Luzifer und Ahriman. Wenn alles so
geblieben wäre, wie es ursprünglich beabsichtigt war, dann hätte
nach der luziferischen Versuchung der Mensch seine Gedanken
niemals vergessen können. Er hätte immer Zutritt gehabt zu der
Akasha-Chronik, aber es wären Luzifer und Ahriman gewesen,
die diese Chronik für ihn aufgeschrieben hätten. Daher mußten
die guten Götter es so einrichten, daß der Mensch seine Gedanken
auch vergessen kann.
Alles, was so in das Unbewußte hinuntersinkt, ist abgestorben,
aber das alles fressen Luzifer und Ahriman. Sie machen es
zu einem Teil ihres Wesens, und als luziferische und ahrimanisehe Natur kommt es bei den Menschen wieder heraus in der
Meditation. Sobald jemand sich zum Meditieren anschickt, steigt
bei Luzifer die Hoffnung auf: Vielleicht werde ich doch noch in
der Welt siegen! Und dann bestürmt er den Menschen mit dessen
abgelegten Gedanken. Das liebt der Mensch eigentlich, dieses
Gehen von Gedanken zu Gedanken, und die Kontemplation,
das In-sich-erfüllt-Bleiben mit einem Gedankeninhalt, das liebt
er nicht.
Man beobachte einmal, wie lange ein Nicht-Esoteriker (bei
einem Esoteriker ist noch ein gewisser [selbstauferlegter] Zwang
dazu vorhanden) einen Vorsatz ausführt, um zum Beispiel, so
wie der Essäerschüler, jeden Morgen für das Aufgehen der
Sonne zu danken, wenn er sich dieses freiwillig vorgenommen
hat. Wie wenige werden es weiter als einige Tage bringen!
In Wirklichkeit liebt der Mensch den Geist überhaupt nicht.
Er muß sich mit Gewalt dazu zwingen, bestimmte Gedanken
durch längere Zeit in seiner Seele zu behalten. Luzifer und Ahriman
sind es eigentlich, die der Mensch in Wahrheit liebt.
Als Protest gegen diese Tatsache haben wir unseren Rosenkreuzerspruch:
Ex Deo naseimur
In Christo morimur
Per Spiritum Sanctum reviviseimus
GA 266c - Seite 146ff